Konrad Baumgartner
Bruder Konrad – der Heilige des Alltags
Festpredigt am 1. Mai 2009 in Parzham
Vom heiligen Alexius, der als Sohn reicher römischer Eltern im 4. Jahrhundert geboren wurde, wird folgende Geschichte erzählt. Er sei nach seiner Hochzeit ins Heilige Land gepilgert und habe dann in Edessa, dem heutigen Urfa, dem biblischen Ur in Chaldäa, von wo Abraham einst aufgebrochen ist, gelebt und zwar in vollkommener Armut. Nach vielen Jahren sei er wieder in sein Elternhaus in Rom zurückgekehrt. Wegen seines verwahrlosten Aussehens habe ihn aber niemand mehr erkannt. Wie ein Bettler habe er unter der Treppe des Hauses bis zu seinem Tode gelebt, vom Gnadenbrot seiner Angehörigen. Erst nachdem er verstorben war, habe man einen Brief von ihm an seinen Vater gefunden, in dem er sich zu erkennen gab.
Wegen seines verborgenen heiligmäßigen Lebens wurde Alexius vor allem im Mittelalter in vielen Ländern hochverehrt. Ein Ausdruck dafür sind die sogenannten „Alexius-Stiegen“, die zumeist in Klöstern zur Erinnerung an ihn gebaut wurden: in Wien und in Säben, in Landshut und Wörishofen, in Eichstätt – und in Altötting, im St. Anna-Kloster, wo der heilige Bruder Konrad gelebt hat. Viele Stunden, ja, ganze Nächte verweilte er im Gebet in dieser Alexius-Zelle, unter der Stiege des Klosters. Durch ein Fenster kann man noch heute, wie damals Bruder Konrad, zum Tabernakel der Kirche blicken und unseren Herrn im Sakrament des Altares verehren.
Nun verstehen wir, was Papst Johannes Paul II. bei seinem Wallfahrtsbesuch in Altötting am 18. November 1980 gemeint hatte, als er sagte: „Wir sehen den heiligen Bruder Konrad in der (Alexius-)Zelle knien – vor dem Fensterchen, das man ihm eigens durch die Mauer gebrochen hatte, damit er immer zum Altar der Kirche schauen konnte.“ Und der Papst fügte hinzu – es ist das Motto für unser „Bruder-Konrad-Jahr“ und für die heutige Predigt: „Durchbrechen auch wir mitten im Alltag die Mauer des Sichtbaren, um immer und überall den Herrn im Auge zu behalten!“ – Papst Benedikt XVI. hat am 11. September 2006 bei seinem Besuch in Altötting hinzugefügt: „Von diesem Blick her hat Bruder Konrad die nicht zu zerstörende Güte gelernt, mit der er den Menschen begegnete … Ohne große Worte hat er durch seine Güte und Menschlichkeit eine Botschaft geschenkt, die mehr wert war als bloße Worte.“ Bruder Konrad ist so der „Heilige des christlich gelebten Alltags“ geworden.
Unser Alltag: in Schule und Arbeit, im Urlaub und in der Freizeit, in Ehe und Familie, in der Öffentlichkeit der kleinen und der großen Welt. Weithin ist „Alltag“ für uns negativ besetzt. Wir sprechen vom „grauen Alltag“, vom „Einerlei des Alltags“, von den „Alltagssorgen“, vom „täglichen Stress“, von der „Mühle des Alltags“. Der Alltag ist der Werk-Tag: der normale, gewöhnliche Tag, angefüllt mit Arbeit von früh bis spät, von kleineren und größeren Sorgen, aber auch von Überraschungen und Freuden. Für nicht wenige ist der Alltag heute belastet von Arbeitslosigkeit oder der Angst vor ihr, vor Krankheit und Alter. Der weitaus größte Teil unseres Lebens besteht aus Alltag; das Wochenende, die Sonn- und Feiertage sind uns zum Ausruhen, zum Gottesdienst und zum Dienst am Nächsten gegeben: als Frei-Zeit und als Sozial-Zeit.
Wie können wir – trotz aller Belastungen und in allen Sorgen – den Alltag unseres Lebens sinnvoll leben, als Menschen und als Christen?
Nur auf den ersten Blick scheint es, dass das Leben von Bruder Konrad uns dafür kaum Orientierung geben kann. War er nicht ein Ordensmann, der fernab vom „normalen Leben“ aus „lauter Beten, Büßen und Almosengeben zusammengesetzt war“, wie man gemeinhin über ihn urteilte, ein weltfremder Sonderling? Wer sein Leben, seinen Alltag, näher und tiefer betrachtet, der entdeckt: Bruder Konrad hat „das Gewöhnliche außergewöhnlich gut getan“ (Karl Kleiner), weil er sein Leben „in der ständigen Gegenwart Gottes“ gelebt hat: im „Dienste Gottes und der Menschen“ (P. Joseph Anton Kessler): „in Gott verwurzelt und den Menschen verpflichtet“.
Der Alltag von Bruder Konrad: schon zuhause, hier auf dem Parzham-Hof, und erst recht dann an der Klosterpforte von Altötting, er war von früh bis spät angefüllt mit Arbeit und mit vielfältigen Beanspruchungen. Hunderte von Wallfahrern kamen in Altötting täglich an die Klosterpforte: „die einen brauchten die Patres, um ihre Devotionalien zu weihen, Seelsorger, die einen Beichtvater wollten, die den Guardian wegen einer Aushilfe in einer Pfarrei außen sprechen wollen … die Patres selber kamen und gingen. Viele Gläubige läuteten, um Messen einzugeben, einen Missionsbeitrag oder Almosen einzuzahlen. Dazu die vielen Handwerksburschen und Bettler, die Kinder, die alle eine Suppe, ein Stück Brot oder vielleicht auch Geld wollten. Oft läutete es bis zu zweihundertmal an der Pforte … Der Pförtner musste nebenher verschiedene Bücher und Kassen, Messstipendien-, Bonifatiusvereins-, Missionskasse in Ordnung halten … Bruder Konrad hatte dazu noch einen Teil der Aufgaben des Mesners übernommen … Nur mittags war eine Stunde Ruhepause … All das hieß, den ganzen Tag auf den Füßen sein … So ein Tag war eine großartige menschliche Leistung. Aber das Beten und die Versenkung, die innere Sammlung, die Gegenwart Gottes im Geiste sollten nicht darunter leiden … Bruder Konrad gelang diese einzigartige Komposition von Sammlung in sich und Offenheit für den Menschen draußen.“ So schreibt Alois Winklhofer, der Theologieprofessor aus Engertsham, sein Landsmann aus dem Rottal. Und weiter: „Er blieb eingeschlossen in eine lichte innere Welt und hatte doch viele Fenster nach außen.“
Die Mauer seines Alltags war durchbrochen: auf die Gegenwart Gottes hin, die er im Gebet während der Arbeit, in bewussten Pausen der Stille und in den offiziellen Gebetszeiten, vor allem aber auch in der Feier der Eucharistie und durch die tägliche Heilige Kommunion in sich bewahrt hat. Dabei war das „Kreuz sein Buch“: immer wieder hat er es in Liebe betrachtet.
Der Bruder Konrad – der „Heilige des christlich gelebten Alltags“, möchte uns einladen und dazu ermutigen, dass wir sowohl auf eine „Ethik des Alltags“ als Christen bedacht sind, dass wir eine „Spiritualität des Alltags“ leben, aber auch eine „Spiritualität im Alltag“.
Das bedeutet: unser Alltag, unser Denken, Reden und Handeln muss an Gottes Geboten orientiert sein und bleiben. Es geht um die Haltungen und Tugenden, welche wieder neu als „lebensnotwendig“ erkannt werden – solide Arbeit, Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit statt Lüge und Gaunerei, im privaten wie im öffentlichen Leben; Treue und Verlässlichkeit statt Verrat an Partner und Familie; Geduld und Hilfsbereitschaft statt Zorn, Egoismus und Mobbing, bereits in der Schule und später im Beruf. Eine solche „Ethik des Alltags“ lebt aus der Verantwortung vor Gott, dem wir Rechenschaft schulden für unser Leben, für unsere Mitmenschen, auch für seine Schöpfung – in Liebe und Dankbarkeit. Solche Haltungen bilden die „Spiritualität des Alltags“, Bruder Konrad ist uns dafür ein wertvolles Vorbild.
Und unser Alltag braucht gerade dafür auch „die Fenster zur Transzendenz“. Wir brauchen die „Unterbrechung“ – Unterbrechung ist die kürzeste Definition von Religion. „Unterbrechung“ ist für unser Menschsein und Christsein notwendig: durch Zeiten des persönlichen und gemeinsamen Gebetes, durch die Lesung und Meditation der Heiligen Schrift und des geistlichen Schrifttums, durch religiöse Sendungen in Funk und Fernsehen, durch Tage der Besinnung und der Exerzitien, durch die Mitfeier der Liturgie und der Sakramente. Es geht um ein Leben in der ständigen Gegenwart Gottes: „nicht nur öfters und mit Andacht an Gott zu denken, nicht nur seine einzelnen Gebote zu halten, sondern die gewaltige Nähe seines absoluten Wesens zur steten Begleitung unseres Lebens zu haben und darin die Liebe und in der Liebe die Forderung nach Liebe zu begreifen.“ (Adrienne von Speyr, in: IKZ 31/2002, 398). Papst Benedikt sagt es so: „wichtig ist, dass wir selber sozusagen im Atemraum des Heiligen Geistes bleiben, in Berührung mit ihm sind. … Der Heilige Geist ist der Atem Jesu Christi, und wir müssen uns von Christus sozusagen immer neu beatmen lassen, damit in uns dieser neue Atem lebendig und kraftvoll wird und in die Welt hinein wirkt … Es geht um ein Leben mit Christus aus dem Heiligen Geist, im Wort Gottes, in der Gemeinschaft der Kirche.“ (Gespräch mit Priestern am 6. August 2008 in Brixen). So wächst durch die Gnade Gottes unser Christsein im Alltag und für den Alltag, so reift in uns das Leben mit Gott heran: das „Leben in Christus und mit ihm“ – ein Heiligsein in jeweils unseren Dimensionen, das sich ich Alltag bewährt – „gegen ein zunehmendes ´Schein-Heiligsein´, das nur an Sonntagen oder an hohen Feiertagen praktiziert wird, ein Heiligsein, das man in einen seltsamen Himmel verschiebt und das ein vom Heiligen entleertes gottloses Heute zur Folge hat“ (Anton Schmid, in: ebd. 389).
Jesus hat seinen Jüngern versprochen: „Ich bin bei euch alle Tage …“ (Mt 28,20). Das bedeutet: im Alltag ist er bleibend bei uns, als eine „Quelle, die uns durch den Alltag begleitet und unser Leben zu einem wesentlichen, christlichen und heiligen Leben macht … (um so) in uns für Gott Raum zu schaffen … Vom Glaubenden ist nur gefordert, dass er sein Leben dem Leben des Wortes in ihm zur Verfügung stelle“ (von Speyr, ebd. 392).
Der Alltag des heiligen Bruder Konrad war „ein dauerndes Gespräch mit Gott“, der verborgen-nahe Gott ist zum ständigen Begleiter seines Lebens geworden. Bruder Konrad lebte schon hier im ewigen Leben, sein Sterben war Hinübergang über die Schwelle zum Leben mit dem Dreifaltigen Gott und mit allen in ihm bereits Vollendeten.
Heute, am Festtag von Maria, der Schutzfrau Bayerns, und zugleich am Festtage des Bräutigams, des Heiligen Josefs, des Schutzpatrons der Arbeiter, „bitten wir den heiligen Bruder Konrad, dass er uns hilft, alle Tage unseres Lebens den Blick auf den Herrn gerichtet zu halten“ (Benedikt XVI. in Altötting) – bis wir ihn schauen dürfen von Angesicht zu Angesicht. Amen.