Predigt von Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger zum Bruder-Konrad-Fest 2008

Bruder Konrad von Parzham – Der Heilige des Schenkens

Ansprache zum Bruder-Konrad-Fest am 1. Mai 2008 in Parzham

von Weihbischof Anton Losinger, Augsburg

Der heilige Bruder Konrad ist mir in meinen persönlichen Erinnerungen aus Kindertagen vertraut durch ein Bild: Es ist das Bild des schenkenden Heiligen. Arme Leute, Pilger, Landstreicher, vor allem viele Kinder sind da. Hände strecken sich bittend dem Heiligen entgegen. Und Bruder Konrad steht in seiner Pforte des Kapuzinerklosters in Altötting und reicht den Menschen Brot!

Für mich ist dieses Bild des Schenkens mehr als nur eine Episode aus der Biografie des Heiligen. Es ist das Lebens-Programm der Kirche heute. Es zeigt die Aufgabe und die Herausforderung der Christen: Wir müssen schenkende Menschen sein und werden - um der Liebe Jesu Christi willen.

Heute am Bruder-Konrad-Fest 2008 im Parzham will ich Sie gerne einladen, am Bild dieses so beliebten und populären bayerischen Heiligen über diese Frage nachzudenken: Was muss die Kirche, was müssen Christen heute schenken?

1. Brot für die Welt

Das erste Geschenk ist - nach wie vor und unerwartet aktuell - Brot für die Welt!

Es geht um nicht weniger als die Realisierung des wichtigsten Gebotes des Evangeliums: Gott lieben und den Nächsten wie sich selbst! Das ist der entscheidende Maßstab, den Jesus setzt. Schenken, tätige Nächstenliebe ist darum seit jeher ein zentrales Kriterium der Glaubwürdigkeit des Christentums.

„Alles was ihr einem der Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“ - sagt Jesus selbst in seiner großen Rede vom Weltgericht im Matthäus-Evangelium und gibt damit die wichtigste Prüfungsfrage für unser Leben vor.

Denn es gibt auch und gerade heute und trotz aller modernen Technik und Fortschritts ein Heer von Not leidenden Menschen, denen geholfen werden muss. Der Bogen reicht von den weltweiten himmelschreienden Notlagen in den Entwicklungsländern bis herein in die unmittelbare Nähe in unserer Nachbarschaft. Wie viel Not gibt es da oft verdeckt und versteckt zu sehen?

Die Caritas zum Beispiel weist in ihrem jährlichen Armutsbericht anlässlich der diesjährigen Frühjahrssammlung erneut auf das Armutsrisiko „Familie“ hin. Was man als „relative Armut“ bezeichnet - die Tatsache, dass in einem reichen Land wie der Bundesrepublik eine zunehmende Zahl von Menschen mit weniger als der Hälfte des durchschnittlichen Nettoverdienstes auskommen muss - das betrifft mehr und mehr Familien. So bitter es klingt, neben den bekannten Standardauslösern für Armut, nämlich Arbeitslosigkeit, Behinderung, Krankheit oder geringe Rente, sind Familien mit mehr als drei Kindern in Deutschland mittlerweile zu einem ernstzunehmenden Armutsrisiko geworden.

Hier wie dort muss geholfen werden! Hier ist der schenkende Bruder Konrad ein stetiges Ausrufezeichen! Es gehört zur Wahrhaftigkeit des Lebens in der Nachfolge Jesu, dass Christen ihr Ohr und ihr Herz nicht verschließen, wo der Bruder in Not ist. Und umgekehrt sind und waren es immer die schlechtesten Zeiten der Kirchengeschichte, in der Christen sich in eine geistige Sphäre zurückzogen und das Soziale nicht sahen.

Darum legt das Zweite Vatikanische Konzil - dieses so bedeutende Ereignis auf dem Weg der Kirche in die Neuzeit - zu recht und in aller Deutlichkeit den Finger darauf. In der berühmten Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ - Über die Kirche in der Welt von heute - schreiben die Konzilsväter:

„Die Wahrheit verfehlen die Christen, die im Bewusstsein, hier keine bleibende Stätte zu haben, meinen, sie könnten ihre irdischen Pflichten vernachlässigen. Sie verkennen, dass sie, jeder nach der zuteilgewordenen Berufung, gerade durch den Glauben umso mehr aufgerufen sind, ihre Pflicht zu erfüllen. ... Diese Spaltung zwischen dem Glauben, den man bekennt, und dem täglichen Leben gehört zu den schweren Verirrungen unserer Zeit. Ein Christ, der seine irdischen Pflichten vernachlässigt, versäumt damit seine Pflichten gegenüber dem Nächsten, ja gegen Gott selbst und bringt sein ewiges Heil in Gefahr.“ (Gaudium et spes, Nr. 42)

Doch gehen wir ruhig einen zweiten Schritt. Brot ist nicht alles im Leben. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt!“ - so lautet die Antwort, die Jesus dem Versucher in der Wüste gibt.

2. Werte und Orientierung

Das zweite Geschenk, das Christen heute geben müssen, ist von spiritueller Dimension: Wir müssen als Kirche gerade heute mehr denn je geistige und geistliche Werte und Orientierung in unübersichtlicher Zeit geben.

Bruder Konrad war ja in seiner Klosterpforte immer auch Ansprechpartner und Ratgeber. Viele Menschen kamen in geistigen Notlagen und fragten ihn um Rat. Geduldig hörte er zu, tröstet, gibt Rat und Hilfe, wo Menschen nicht mehr weiter wissen. Aus unserer heutigen Sicht der Dinge müssen wir feststellen: wir sind an einem dramatischen Umschwungspunkt unserer modernen Gesellschaft angekommen sind. Waren die Gesellschaften vergangener Jahrhunderte noch die klassische Agrar- und Industriegesellschaft, so müssen wir heute realisieren, dass wir weltweit dabei sind, eine moderne Wissens- und Bildungsgesellschaft zu werden. Lagen früher die Bodenschätze unter der Erde, so sind sie heute in den Köpfen der Menschen.

Ge­nau an diesem Punkt entsteht die für uns Christen so entscheidende Frage: Was bedeutet Bildung in der Wissensgesellschaft? Und vor allem was muss ein junger Mensch, ein Schüler lernen, damit er weiß, was wichtig ist und was er für sein Leben braucht? Genügt es, wenn unsere Schulen die sogenannten Kulturtechniken der Menschheit vermitteln? Biologie, Erdkunde, Deutsch, Mathematik, Physik, Chemie, wenn sie den Schülern auch beibringen mit einem Laptop umzugehen und sich in sich ins Internet einzuloggen? Das alles ist gut und wichtig für die berufliche Zukunft junger Menschen in der modernen Wissensgesellschaft, aber die Schule hat damit höchstens die Hälfte der Hausaufgaben gemacht. Die Schule und unser Bildungssystem treten zu kurz, wenn die entscheidendste aller Frage ausgelassen wird, nämlich die Frage nach Orientierung und nach Wertmaßstäben für das Leben junger Menschen, und letztendlich die alles entscheidende Fragen: die Frage nach dem Sinn unseres Lebens.

Junge Menschen müssen heute über alles technische Wissen hinaus, ausgestattet werden mit Antworten die sie ihr Leben ertragen und gestalten lassen. Und dazu gehört letztlich aus der Sicht der Kirche immer wieder dieses eine: Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens!

Ich denke da an eine Begegnung, die mich unlängst ratlos zurückließ: Wenn die Deutsche Bischofskonferenz zu ihrer Vollversammlung in Fulda zusammentritt, und wenn die Bischöfe dann am Abend eines oft sehr langen Sitzungstages und durchgearbeiteter Tagesordnung im Bierstüberl zusammensitzen, dann erzählt der eine oder andere oft sehr persönlich, was ihn zu Hause in seiner Diözese bedrückt, freut und auch belastet. Unlängst war es einer der vier deutschen Kardinäle, der von ein paar Tagen Urlaub in Spanien berichtete. Zu seinem Erstaunen bemerkte er, dass in dem Hotel, in dem er untergebracht war, mehr als ein Dutzend junger deutscher Gymnasiasten und Studenten im Ferienjob arbeiteten; sie betreuten im Service deutsche Touristen und verdienten sich dabei Geld für ihr Studium. Dem Kardinal stellte man selbstverständlich den Dienstwagen des Hauses zur Verfügung, und eine der gescheiten jungen Studentinnen hatte das Privileg, ihn zu den Kulturgütern des Landes zu begleiten. Was ihm dann auffiel, war so interessant wie bedrückend zugleich: Wo immer Sehenswürdigkeiten aus der Kultur und Geschichte Spaniens zu sehen waren, konnte die intelligente, gebildete junge Frau perfekt in vier Sprachen alles erklären. Sobald man allerdings eine Kirche, eine Kapelle oder einen Friedhof betrat, und der Pfarrer oder Pater Gegenstände oder liturgische Feste und Bräuche erklärte, da fehlten ihr die Worte. „Das bedrückendste meines Urlaubs in Spanien war“ - so drückt es der Kardinal aus - „die Erfahrung der vollständigen religiösen Sprachlosigkeit eines intelligenten jungen Menschen.“

Junge Menschen brauchen Orientierung und Halt. Wo sie es nicht bekommen, entsteht geistige Not. Da gerät unsere Gesellschaft in dramatische Schieflagen!

Doch gehen wir ruhig noch einen dritten Schritt:


3. Jesus schenken

Das dritte und wesentlichste aller Geschenke schließlich, das die Kirche heute zu geben hat, ist Jesus selbst. Es geht um die Tiefendimension unseres Lebens, die nur im Glauben erschlossen und erklärt werden kann. Bruder Konrad war vor allem der Mann des Gebetes und der Stille. Es war das Leben in der ständigen Verbindung mit Gott, das ihn prägte und ausstrahlen ließ.

Ganz aktuell sind wir als Kirche in Deutschland herausgefordert, dieses kostbare Geschenk des Glaubens großzügig und überzeugend an Millionen suchender junger Menschen weiterzugeben: „Herr, wir wollen Jesus sehen“ so sagen die Leute, die damals zum Apostel Philippus kommen. Heute ist dieser Satz zum Leitwort des Suchens einer jungen Generation geworden, die in einer Welt maximaler Unübersichtlichkeit und Unsicherheit ihren Weg finden will und muss. Scharen von Jugendlichen aus aller Herren Länder wollen sehen, was uns als Christen prägt und bewegt, und was wir glauben. Worauf wird es ankommen? Was können wir geben?

Wie kaum ein anderer hat in meinen Augen unser ehemalige Bundespräsident Roman Herzog bei seiner Festansprache anlässlich der Eröffnung des 150. Deutschen Katholikentages 1998 - vor genau 10 Jahren - in der Frankfurter Paulskirche den Nagel auf den Kopf getroffen: „Die Konfrontation mit einer Vertikalen“ heißt sein Thema:

„Ich weiß, dass es für die Kirchen zurzeit nicht einfach ist, ihren Ort in unserer sich ständig verändernden Gesellschaft zu bestimmen. Mir steht es auch nicht zu, ihnen einen solchen Ort zuzuweisen. Eines aber weiß ich sicher: Eine Kirche, die die Orientierungslosigkeit der Gesellschaft nur noch einmal verdoppelte, hätte sich selber überflüssig gemacht, noch bevor andere ihr das bescheinigten. ...

Was ich vom kirchlichen Engagement erwarte - und zwar nicht nur als Person, sondern dezidiert von meinem Amt her - ist, um es vorsichtig zu sagen, die Konfrontation der Menschen mit einer Vertikalen, mit der "ganz anderen" Perspektive. Zu vieles, was Staat und Gesellschaft heute bewegt, macht den Eindruck, es gehe um Allerletztes und Allerwichtigstes. Die Kirchen aber sollten daran erinnern, dass viele unserer Debatten sich - im besten Falle - um Vorletztes drehen. Das scheint mir die Aufgabe der Kirche zu sein, die heute am notwendigsten ist - die Konfrontation der Menschen mit einer Vertikalen.“

Damit ist ein neuer Lebensstil begründet, der uns von innen her trägt und belebt - vom Heiligen Bruder Konrad gelernt: Die richtige Einstellung zum Leben hat einen transzendenten Grund.

Bei seinem Besuch in Bayern im September 2006 würdigte Papst Benedikt XVI. Konrad in seiner Predigt beim Vesper-Gottesdienst in Altötting:

„Er hat sich, wie es der Herr im Gleichnis empfiehlt, wirklich auf den letzten Platz gesetzt, als demütiger Pfortenbruder. Er konnte von seiner Zelle aus immer auf den Tabernakel hinschauen, immer bei ihm sein. Von diesem Blick her hat er die nicht zu zerstörende Güte gelernt, mit der er den Menschen begegnete, die fast ohne Unterbrechung an seiner Pforte anläuteten - auch manchmal eher bösartig, um ihn bloßzustellen; auch manchmal ungeduldig und laut: Ihnen allen hat er ohne große Worte durch seine Güte und Menschlichkeit eine Botschaft geschenkt, die mehr wert war als bloße Worte.“

Es ist Antoine de Saint Exupéry, dieser so sympathische französische Dichter und Schriftsteller, aus dessen Feder das gerade bei jungen Menschen so beliebte moderne Märchen vom „Kleinen Prinzen“ stammt. Er formulierte einmal ein Gebet, das Bruder Konrad, sein Leben, sein Denken, seinen Stil, seine Spiritualität so gut beschreibt wie nichts vergleichbares, das ich kenne: Es ist das „Gebet an Gott um die richtige Einstellung zum Leben“

„Ich bitte dich nicht um Wunder und Visionen, Herr,

sondern um Kraft für den Alltag.

Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte.

Mach mich sensibel in der richtigen Zeiteinteilung.

Schenke mir das richtige Fingerspitzengefühl, um herauszufinden,

was erstrangig und was zweitrangig ist.

Lass mich erkennen, dass bloße Träume nicht weiterhelfen, weder über die Vergangenheit noch über die Zukunft.

Hilf mir, das Nächste so gut wie möglich zu tun und die jetzige Stunde

als die wichtigste zu erkennen.

Bewahre mich vor dem naiven Glauben, es müsste im Leben alles glatt gehen.

Schenke mir die nüchterne Erkenntnis, dass Schwierigkeiten, Niederlagen, Misserfolge, Rückschläge eine selbstverständliche Zugabe zum Leben sind, durch die wir wachsen und reifen.

Erinnere mich daran, dass das Herz oft gegen den Verstand streikt.

Schick mir im rechten Augenblick jemand, der den Mut hat, mir die Wahrheit in Liebe zu sagen.

Ich weiß, dass sich viele Probleme nur langsam lösen. Gib, dass ich warten kann.

Verleihe mir die nötige Phantasie, im rechten Augenblick ein Päckchen Güte, mit oder ohne Worte, an der richtigen Stelle abzugeben.

Bewahre mich vor Angst, ich könnte das Leben versäumen.

Gib mir nicht, was ich mir wünsche, sondern was ich brauche!“

Amen.