Predigt von Provinzial P. Josef Mittermaier zum Bruder-Konrad-Fest 2006

Predigt zum Bruder Konrad Fest am 01.05.2006 in Parzham

gehalten vom Provinzial Pater Josef Mittermaier

„Brüder, das Gebet des Demütigen dringt durch die Wolken. Es weicht nicht, bis der Allerhöchste darauf schaut“ (Zuruf beim Provinzgebet zum hl. Br. Konrad)

Lesung: Gal 2, 19 – 20

Evangelium: Lk 11, 9 – 13

Das sind Sätze des Evangeliums, die beeindrucken. Sie wiederholen eine Wahrheit und stellen sie einfach hin: „Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet. Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet.“ Und wir haben gleich lautende Sätze anderswo im Neuen Testament. Im Johannesbrief heißt es: „Alles, was wir erbitten, empfangen wir von ihm“, und in dem Johannesevangelium: „Bittet um alles, was ihr wollt, ihr werdet es erhalten.“ Hierbei sind noch Bedingungen daran geknüpft - an diese Verheißung, dass es keine nicht erhörten Gebete gibt - „Wenn ihr in mir bleibt, bittet um alles, was ihr wollt, ihr werdet es erhalten.“ Dann zum Beispiel bei Markus, wo es heißt: „Bittet um was ihr wollt, glaubt nur, dass ihr es schon erhalten habt, so wird es euch zuteil.“ Im Tagesgebet am Bruder Konrad Fest haben wir gebetet: „Gott, du wolltest, dass den Gläubigen eine Pforte der Barmherzigkeit offen stehe. Schenke uns auf die Fürsprache des hl. Bruders Konrad deine Hilfe für Zeit und Ewigkeit.“ Oder dann der Zuruf beim Gebet unserer Bayerischen Kapuzinerprovinz: „Brüder, das Gebet des Demütigen dringt durch die Wolken. Es weicht nicht, bis der Allerhöchste darauf schaut.“

Wie steht es denn mit dem Bittgebet? Wie geht es uns damit?

Das bittende Gebet ist eine grundreligiöse Haltung, findet sich auch ziemlich in allen Religionen.–, das ist also weltweit religiös, prägt auch unsere Religion; an unseren Wallfahrtsorten gibt es dann die Votivbilder: „Maria hat geholfen!“, wir bitten und werden erhört.
Und dennoch ist das theologisch, denkerisch, und auch der Erfahrung nach, eine höchst fragwürdige Sache.
Man muss immer zögern - weil, es ist Boden unserer religiösen Praxis - wenn man sagt, dieses Funktionieren des Bittgebetes - das Gott oder die Heiligen veranlasst, uns etwas zu tun, was wir möchten - das geht nicht, das ist falsch. Ich kann mir auch den hl. Bruder Konrad nicht vorstellen, dass der so seine Anliegen vor Gott getragen hat. Was sozusagen durchgegangen ist, war recht, ansonsten musste man gottgefällig dulden und warten. Das ist eine recht oberflächliche Auffassung des Glaubens. Wir müssen tiefer stoßen.
Die Erfahrung widerspricht doch der Annahme, dass man Gott durch Beten beeinflussen könne, weil die Erfahrung sonst zu einer menschenlästerlichen, und damit auch gotteslästerlichen, Auskunft führte. Das hieße nämlich, die Leute, die satt und wohlhabend sind, denen alles nach Bedarf geht, das wären die, die gut beten, und die vom Elend Geschlagenen, die Verhungernden in der Welt, die beten eben nicht genug! Wenn das so wäre, dass ich Gott veranlassen kann, dann müsste man doch sagen, die, die da wirklich bis zum Hals im Elend stecken, die müssten nur beten, dann ginge es, und wir, denen es immer noch reichlich gut geht, wir sind eben offenbar vorbildliche Beter. Und das ist ein Unsinn! Es ist nicht so, dass sich Glück und Unglück nach Gebet verteilen; jedenfalls nicht äußerer Wohlstand und Gesundheit und dergleichen. Oder bei einer Versammlung mit unserem Ordensgeneral hat ein alter Mitbruder gemeint: Wir müssten mehr um Ordensberufe beten. Dann würden wir sie auch erhalten, so wie zum Beispiel die Kapuziner in Polen. Unser Generalminister meinte: Ich glaube, ihr betet genug. Aber es ist Geheimnis Gottes – : Ihr betet und die Polen erhalten sie.

Diese Haltung, dass sich Glück und Unglück nach Gebet verteilen, widerspricht der Erfahrung, und:


Es widerspricht dem Denken.
Was wir denkend von Gott erfassen, macht deutlich, er kann nicht beeinflusst und veranlasst werden. Da gibt es dann zwar fromme Leute, die sagen, wie könnt ihr denn denkend Auskunft geben wollen über Gott! Aber Thomas von Aquin, kluger Theologe (13. Jahrhundert), sagt: „In der Tat, wir wissen nicht, was GOTT ist“, können es nicht wissen. Aber wir wissen, was er nicht ist: Er ist weder kleinlich, noch endlich, noch beeinflussbar; noch von der Welt abhängig. Das ist er nicht, sonst wäre er nicht Gott.

Gott ist über alles erhaben und allein die Ursache von allem.
Es geht alles von ihm aus, und er empfängt nichts. Auch keine Anfragen und keine Bitten.
Und es wäre ja auch ein merkwürdiger Gott, wenn ich irgendwo für Verhungernde bete, oder für Erdbebenopfer ... Was ist das für ein Gottesbild, das wir da haben! Dieser Gott thront über den Wolken, und hat offenbar nicht gemerkt, dass Leute in Not sind! Und nun kommen wir und sagen: Pass auf, Lieber Gott, da hungern Leute! Und dann sagt er (man müsste es fast drastisch sagen: und kratzt sich hinterm Ohr), und sagt: In der Tat, das hab' ich bisher noch gar nicht gemerkt, und wenn ihr was sagt, muss ich ja wohl was tun. Oder, da ist eben der brave Br. Konrad, ein Heiliger. Das ist einfach ein vereinfachendes Gottesbild! Aber es widerspricht auch dem Glauben. Wir sagen – Grundaussage christlichen Glaubens! –:

Gott ist die Liebe.
Die Liebe! Nicht ein Liebender.
Und das heißt auch, nicht 80% Liebe und 90% - und wenn wir dann gut sind und beten, dann steigert er seine Liebe -, Gott ist von vornherein grenzenlose, nicht überbietbare Liebe. Wenn man ihn ändern könnte (was Unsinn wäre), könnte man ihn nur verschlechtern, sozusagen. Deshalb können und dürfen – „um Gottes Willen!“, könnte ich sagen – Gebete nichts ausrichten in dem Sinn, dass sie bei ihm etwas veranlassen.

Aber: Wir beten – Grundgebet: „Dein Wille geschehe.“,
und kommen uns dabei manchmal so entsagungsbereit vor. „Nicht, was ich will“ - Vorbild Jesu! – sondern was Gott will.

Wenn ich vor die Wahl gestellt wäre, ich hätte zwei Entscheidungsträger, und von einem wüsste ich, er ist, wie gesagt, schrankenlos gut - von dem gilt, was im Johannesbrief einmal steht: „Gott ist größer, als unser Herz, er weiß alles“ -, wenn ich diesen Schrankenlosen, schrankenlos Guten, Allwissenden hätte, und auf der anderen Seite irgendeinen auch einigermaßen gut Meinenden, aber doch etwas Beschränkten, Dürftigen, der sich nicht überall auskennt, und ich sollte einem die Entscheidung über mein Wohl übertragen, dann würde ich doch wohl dem Ersten sagen: Was du willst, soll geschehen. Das einzig Vernünftige! Und wir sind vor diese Wahl gestellt. Nämlich, auf der einen Seite steht der allwissende, gütige Gott, und auf der anderen Seite stehe ich, vielleicht nicht gerade übel und schlecht, aber doch halb beschränkt, wie es jeder Mensch ist, nicht allwissend, nicht allgütig. Und wenn ich eine Entscheidung zu meinem Wohl - zu meinem Wohl! – will, wem werde ich die überlassen? Wenn ich einen Funken Vernunft habe, und eigentlich mich selbst liebe, dann werde ich sagen: Gott soll entscheiden. Sein Wille geschehe! Nicht, weil ich entsagungsbereit bin, sondern:

Weil ich mein Bestes anstrebe, sage ich: "Dein Wille geschehe."
Grundgebot! Und dann kann ich natürlich sagen, dieses Gebet wird immer erhört, Gottes Wille geschieht in der Tat.

Unser hl. Br. Konrad: Damals 1999 hat Kardinal Ratzinger, jetzt Papst Benedikt XVI. in einer Predigt folgendes Beispiel gebracht: Von einem Mönch des Berges Athos wird erzählt, dass er in tiefer Betrachtung versunken vor seiner Einsiedelei saß. Jemand schreckte ihn auf und fragte ihn: Über was denkst du denn nach? Und er antwortet: Ich denke nichts, ich halte nur meine Seele in die Liebe Gottes hinein. Unser hl. Bruder Konrad, er war 40 Jahre Pförtner in Altötting. Ein moderner Biograph des hl. Br. Konrad hat gesagt, dass eigentlich in dieser Geschichte die ganze Gestalt des Br. Konrad beschrieben ist. So war er, das war sein Leben: Er hat einfach sein Leben in die Liebe Gottes hineingehalten, und so ist er sehend und gut geworden.

Im Noviziat hatte er sich 11 Vorsätze gegeben: Der erste Vorsatz: „Ich will mich immer in die Gegenwart Gottes stellen.“ Der zweite: Ich will allezeit die Bruderliebe wahren und nie ein Wort gegen die Liebe reden.“ Das bewundern wir an unserem Heiligen. Er hat sein Leben in die Liebe Gottes hineingehalten, hineingestellt in die Gegenwart Gottes. Aus dem Hinschauen auf den Herrn ist ihm die Güte, die Liebe gekommen. Er hat die Pöbeleien an der Pforte aushalten können und auch manches Ungute in der Brüderschaft, er hatte ansteckend gut sein können. Da hast Du an diesem Mann konkret Deinen Glauben erfahren: Gott ist 100%, Gott ist Liebe. Das ist Realisierung des Pauluswortes, das wir gehört haben: „Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat. Das Leben des hl. Br. Konrad war eine Sache der Liebe.

Man könnte noch unterscheiden:

Gott will schaffend sein - und das ist sofort Wirklichkeit.
Gott will aber auch sein: anzielend, vorschreibend - er sagt auch, was sein soll.
Und das geschieht leider nicht immer. Deshalb gibt es Übel, deshalb muss ich nicht einfach mit allem zufrieden sein. Ich soll nicht die Augen zumachen vor den Beschränktheiten und Übeln in der Welt, ich soll dagegen angehen, und dann auch sagen: Das will ja Gott! Er will ja nicht, dass dieses Übel ist. Also, „Gottes Wille geschehe“, das kann nicht heißen, ich setze mich in den Stuhl und drehe Däumchen. Das kann dann heißen, Unverständnis der nächsten Umgebung. Die Mitbrüder haben Bruder Konrad öfter nicht verstanden. Seine Freigebigkeit an der Pforte forderte Kritik heraus: Darf man Klostergut verschenken? Für Bruder Konrad war die Not der Bedürftigen, die an der Pforte standen, wichtiger. Lieber verzichtete er dann selber aufs Essen.

Oder im Bereich der Liturgie und der Frömmigkeit: Es kann da Verengungen, Engführungen und Verkrustungen geben. Br. Konrad wollte aus seiner geistlichen Begleitung heraus mehr. Er erbat von seinem Guardian die Erlaubnis, täglich zur hl. Kommunion gehen zu dürfen. Er musste sich dann vergewissern, dass ja kein anderer Bruder das sah. Papst, Pius X., hat später dann sich des Anliegens der lebendigen Mitfeier der Liturgie und der Teilnahme an der Kommunion angenommen. Br. Konrad war seiner Zeit voraus – und machte kein Aufhebens. Das bewahrte ihn davor, ein religiöser Held zu werden.

Seine geistliche Begleitung erbat er sich von einem hellwachen, geistlich-regen

Priester, dem Benefiziaten Dullinger. Der gehörte dem Kreis um Michael Seiler an, Theologe und viel später erst dann Bischof. Das war eine Theologie, die damals in der Zeit der Aufklärung von Kirche und Gesellschaft nicht geachtet wurde; Die Theologie dieses Kreises und dann des Br. Konrads war ausgerichtet auf die Hl. Schrift, die Väter und die Liturgie der Kirche. Das war eine Frömmigkeit, die mit Süßlichkeit und Kitsch – wie sie leider später in der frommen Verehrung des hl. Bruders Konrad praktisch „käuflich“ wurde – nichts zu tun hatte. Mode war damals – wie bisweilen heute - die reine Übermittlung von Moral. Kirche diente als gesellschaftliche Stütze, als Erziehungshilfe usw., so wie sie heute gerne gesehen wird. Das mag alles wichtig und richtig sein. Der in der Diözese nicht sonderlich geachtete Benefiziat Dullinger vermittelte aber dem Bruder Konrad eine vertiefte Sicht des Glaubens, begründet in der Hl. Schrift und dem täglichen Messopfer. Wir sehen, wie die Zeiten sich gleichen.

Wir sehen an unserem Bruder Konrad deutlich:

Glaube ist keine Anleitung um Antriebe abzuschaffen, unsere Motivation zum Gutes tun zu ersetzen. Es gibt die falsche Askese der Abtötung, wo dann bloß antriebslose, stumpfe, abgetötete Menschen herum existieren; Leute, die sozusagen gottergeben brav ihren Dienst tun, das sind eher Zerrbilder. Ein Bruder Konrad läuft nicht jeden Sonntag 20 / 30 Kilometer wegen einer Askese. Da ist etwas ganz anderes dahinter: Es gibt im Alten Testament einen Spruch: „Wehe, wer die Werke Gottes leidenschaftslos tut.“ Wenn wir nicht Begeisterung finden können, wenn wir nicht Schwung in uns haben, dann geschieht in der Kirche und in den Klöstern nichts. Und es ist in den letzten Jahren in den Bruder Konrad-Spielen beeindruckend dargestellt worden. Dieser Heiliger stand mitten in der Welt.

Ich muss etwas dafür tun, damit der Wille Gottes geschieht, dieser - das Sollen, den Sinn anzielende - Wille Gottes. Gott macht die Natur und auch die Heiligen nicht arbeitslos. Er gibt uns diese Aufgabe, er gibt uns das Bedürfnis! Er gibt uns sogar diesen Schmerz, dass wir Übel als Übel empfinden und über Unrecht empört sind. Das sollen wir! Und sollen dann unsere Bitten haben, und unser Wollen. Und können es Gott vortragen.

Natürlich wird man normalerweise auf diese Überlegungen sagen, wenn das so ist, wenn Gott ohnehin alles bewirkt:

Warum dann beten? Wozu beten?
Meine erste Antwort wäre: Wenn ein Mann eine Frau liebt, oder die Frau ihren Mann, würde sie etwa sagen, wozu soll ich mit dem reden? Was wäre das für eine merkwürdige Liebe! Wenn ich erst einen Nutzen herausholen muss, damit ich mich dem anderen anvertraue? Da könnte ich sagen, die Liebe kann mir gestohlen bleiben, wo nur gefragt wird und was bringt's mir und was nützt es? Wenn ich Gott liebe, rede ich natürlich mit ihm, und mache ihm nicht ein Theater vor, sondern sage, was ich will. Ich will die Gesundheit meines Kindes und ich will, dass Elend in der Welt aufhört, und ich will aus der Depression herauskommen, ich will wieder eine Arbeit bekommen. Alles, was ich will, sage ich ihm. Ein Gebet muss ehrlich sein. Gott braucht nicht unsere frommen Sprüche. Aber, wie soll glauben sonst funktionieren – „glauben“ heißt, Sich-hingeben an Gott – wie soll Glauben gehen, wenn ich das nicht sage?

Beten ist das Selbstverständlichste.
Man hat gesagt „Atmen der Seele“! Und im Hintergrund steht dann dieses Wissen, wenn meine Wünsche nur richtig sind, wenn sie nur mit diesem Willen Gottes in eins gehen, werden sie erhört. Beten muss ehrlich sein und von diesem Grundvertrauen getragen. Ich sagte schon, das heißt nicht, dass wir uns mit allem abfinden in der Welt, dass wir die Hände in den Schoß legen, dass wir leugnen, dass es Übel gibt. Nein, die gibt es, und dagegen gilt es anzugehen. Aber es gilt anzugehen mit dieser Siegesgewissheit, die eigentlich österlich auch ist: Dieses Übel wird nicht das letzte Wort haben, meine Gebete, alle - wenn sie wirklich zum Heil sind -, werden erhört in Christus. Amen.